Verbotene Worte
Beziehungen haben wir und pflegen wir alle von uns jeden Tag- und auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Wir sind auch nicht jeden Tag gleich, haben unsere Launen. Wir sind nett, freundlich, herzlich, höflich und zuvorkommend. Aber oft auch gemein, wütend, zornig, traurig und manchmal auch niederträchtig. Sind wir dann auch immer ehrlich zu den Menschen, die uns am nächsten stehen? Wie ehrlich dürfen wir überhaupt sein, wie viel Ehrlichkeit ist in einer Beziehung eigentlich möglich und wo liegt die Grenze zum schlechten Benehmen? Was darf also gesagt werden, und wann sollten wir besser den Mund halten.
Ich erinnere mich da an ein Telefonat mit einer Freundin von mir. Es war spät abends, ich war müde und hatte einen anstrengenden Tag gehabt. Kurz- ich war einfach schlecht drauf. Diese Freundin wohnte damals in meiner unmittelbaren Nachbarschaft, sie kam sehr oft bei mir vorbei und ich kannte somit ihre Sorgen und auch Eheprobleme bestens. Sie weinte an diesem Abend und war sehr unglücklich, es stand die Frage im Raum was sie tun sollte. Irgendwie wollte ich dieses Gespräch schnell hinter mich bringen und sagte zu ihr, sie solle ihn verlassen- er mache sie doch nur unglücklich und so darf es niemals sein. Sie gab mir recht und legte auf. Am nächsten Morgen erfuhr ich, dass es danach noch einen kräftigen Ehestreit gab- und sie ihren Mann tatsächlich verlassen hatte, denn sie stand mit gepackten Koffern und ihrer kleinen Tochter vor mir. Hätte ich ihr sagen dürfen was ich wirklich von ihrer kaputten Ehe hielt? Eigentlich war doch so viel Ehrlichkeit verboten, am Ende bin ich jetzt schuld an dem, das von da ab geschieht und habe drei Leben beeinflusst. Wenn man Ehepaare sieht, sind schließlich sehr viele Ehen auf Alltagslügen aufgebaut. Genauso wie auf Enttäuschungen. Oder kann man dem Partner ins Gesicht sagen, dein Essen hat mir noch nie geschmeckt, die 10 Kilo mehr und deine ungepflegten Haare mag ich nicht – genauso wenig wie der allseits bekannte hochgeklappte Toilettendeckel ewig stört. Wir schweigen diese Dinge doch oft aus um den anderen damit nicht zu verletzen. Der Anstand verlangt es, einen Menschen macht schließlich so viel mehr aus. Hatte ich eine unsichtbare Grenze mit meiner nächtlichen Ehrlichkeit überschritten?
Eine andere Freundin erzählte mir bei einem Kaffee vor kurzem von ihrem neuen Freund. Alles an ihm war perfekt für sie, der Sex war aufregend- nur eine Kleinigkeit dabei störte sie. Ihr neuer Liebhaber hatte die Angewohnheit, beim Sex ununterbrochen zu reden. Dirty Talk gehörte für ihn einfach dazu- für sie definitiv nicht. Sie sagte, sie müsse in ihrem Job schließlich den ganzen Tag reden, sei ein sehr kommunikativer Mensch- und genieße es einfach, dabei mal die Klappe halten zu dürfen. Naja, von dem Gestöhne abgesehen. Hier gab es also gleich zwei „no goes“ an Worten in der noch frischen Beziehung: Sie konnte ihrem neuen Lover einfach nichts davon sagen aus Angst, sie enttäusche ihn dann. Und Sprechen beim Sex wollte sie ohnehin nicht. Blöde Situation, wie wir beide an diesem Nachmittag resümierten.
Ich erinnere mich auch noch an einen denkwürdigen Morgen eines Geburtstages von mir. Ich machte damals sozusagen eine Begegnung der dritten Art. Ich wollte schnell noch Geld für den Abend holen. Auf dem Weg zur Bank traf ich meinen Ex, der mir großzügiger Weise die Tür zur Bank mit seiner EC- Karte öffnete. Wir waren getrennt, aber höflich konnte ich sein dachte ich mir damals und hielt noch kurz Small Talk. Ihm fiel mein Geburtstag wieder ein und er fragte mich, ob ich feiern würde. Ich hörte mich sagen „ja klar, wir gehen zu dem Italiener, kennst du sicher noch. Möchtest du nicht auch vorbeikommen?“ Ich hatte die unaussprechlichen Worte gesagt - und mir gleichzeitig dafür am liebsten in den Hintern getreten. Als ob der Abend nicht alleine schon anstrengend genug werden würde.
Die Ehe meiner Freundin wurde übrigens wirklich geschieden und es geht heute allen Beteiligten besser als vorher. Sie hat sogar wieder geheiratet und wurde noch einmal Mutter eines Jungen. Ob meine Worte damals angemessen waren? Ich weiß es noch immer nicht, ich weiß nur dass ich in Zukunft mehr achtgeben werde mit dem was ich sage - egal wie kaputt ich bin.
Meine andere Freundin fand heraus, das Wort mehr im Bett gefällt ihr überraschenderweise doch ganz gut. Und einmal angefangen konnte sie plötzlich nicht mehr damit aufhören. Ihrem neuen Freund wurde diese neue Wortgewaltigkeit beim Sex jedoch bald zu viel.
Am Ende meines damals denkwürdigen Geburtstages sind die unmöglich auszusprechenden Worte wie ein Schatten über mich gefallen, als ich meinem Ex zusah, wie er den Raum verließ. Die Worte, die ich ihm damals nicht sagen konnte und er nie erfahren würde: Ich habe dich verlassen, aber ich bin immer noch nicht über dich hinweg.